Spiritueller Impuls Mai 2023

Aus dem Islam

Eines der ältesten erhaltenen Qur’anfragmente, Pergament, Universität Birmingham, datiert zwischen 568 und 645 n. Chr.

Der Qur’an, Gottes Botschaft an die Menschheit, wurde Prophet Muhammad (der Frieden und Segen Gottes seien auf ihm) in einem Zeitraum von 23 Jahren durch den Engel Gabriel in arabischer Sprache übermittelt. Die Offenbarung schrieben die frühen Muslime auf Steine, Palmblätter, Schulterknochen von Tieren und Pergament; spätestens ab 972 n.Chr. fand Papier als Schriftträger Verwendung. Kalligraphiekünstler:innen entwickelten Schriftstile mit je eigenem Rhythmus und Proportionen, welche sie – teils in ununterbrochenen Ketten bis heute – an die Schüler weitergaben.

Die Überlieferung „Gott ist schön und Er liebt die Schönheit“ findet ihren Widerhall in dem Anliegen der Schreiber, ästhetisch anspruchsvolle Handschriften anzufertigen. Diese sind Hilfsmittel zur Kontemplation über die Verse des Qur‘an und regen zum Gottesgedenken (dhikrullah) an.

In dem Maße, in welchem dem koranischen Text eine Göttliche Präsenz innewohnt,
hilft die Kalligraphie als Verkörperung des Göttlichen Wortes dem Muslim,
diese Präsenz zu durchdringen und von ihr durchdrungen zu werden –
gemäß der spirituellen Fähigkeiten jeder Person.“

(Seyed Hossein Nasr, Wissenschaftshistoriker und Philosoph)

Im Qur‘an wird betont, dass die Weisheit Gottes unermesslich ist. Traditionelles Schreibwerkzeug für die Handschriften ist ein schräg angeschnittenes Schreibrohr:

Wenn alle Bäume auf Erden Schreibrohre wären
und wenn für das Meer
sieben weitere Meere Nachschub brächten (gemeint ist: Tinte wären),
so wären Gottes Worte noch nicht ausgeschöpft.
Siehe, Gott ist Allmächtig, Allweise.“

Qur‘an, Sure 31,27

Die spirituelle Bedeutung des Schreibrohrs erahnt man durch das berühmte Gedicht von Mevlana Rumi über die Ney, die Schilfrohrflöte, denn beide haben denselben Ursprung in der Natur:

Hör der Rohrflöte zu, wie sie erzählt, und wie sie klagt
Vom Trennungsschmerz gequält:
„Seit man mich aus dem Schilf, der Heimat, schnitt
Weint alle Welt bei meinen Tönen mit.
Ich suche ein Herz, vom Trennungsleid zerschlagen,
Um von der Trennung Leiden ihm zu sagen.
Sehnt doch nach dem in Einheit Lebensglück
Wer fern vom Ursprung, immer sich zurück. […]

(Mevlana Rumi, Das Lied der Ney, Eingangsgedicht des Mathnavi in der geringfügig veränderten Übersetzung von Annemarie Schimmel)

Die Flöte, welche sich nach dem Schilfhain sehnt, symbolisiert die menschliche Seele, die von ihrem Ursprung bei Gott getrennt ist und Sehnsucht nach spiritueller Vereinigung mit Gott verspürt. Dasselbe Empfinden haben die Kalligraph:innen, während sie mit dem Schreibrohr die Worte Gottes ehrfurchtsvoll als Manuskripte gestalten.

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